Kindergeld: Azubis & Studenten haben Anspruch

29.06.2007 Wer nur 1 Euro zu viel Einkommen bezieht, bekommt keinen Cent Kindergeld. Das könnte nach einer Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts jetzt anders werden.

FB Sozialpolitik, Ressort Sozialrecht und betriebliche Altersversorgung, 27.6.2007

Kindergeld: Mehr Auszubildende und Studenten haben Anspruch

Wer nur 1 Euro zu viel Einkommen bezieht, bekommt keinen Cent Kindergeld. Das könnte nach einer Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts jetzt anders werden.

Anspruch auf Kindergeld
Kindergeld für minderjährige Kinder gibt es ohne Einschränkung. Erst wenn die Kin-der volljährig werden, gibt es den Kindergeldanspruch nur noch dann, wenn sich das Kind in einer Berufsausbildung befindet und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Erzielen volljährige Kinder eigene Einkünfte, kommen die Kindervergünstigungen darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Betrag von 7.680 Euro im Kalenderjahr 2007 nicht übersteigen (§ 32 Abs. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
Sobald der Grenzbetrag aber auch nur um 1 Euro überschritten wird, gibt es weder Kindergeld noch einen Kinderfreibetrag, noch den Betreuungsfreibetrag (so genannte Fallbeilwirkung).

Es stellt sich die Frage, ob diese absolute Wirkung der Grenzbetragsregelung ver-fassungsrechtlich vertretbar ist.
Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts
Das Finanzgericht Niedersachsen hält diese "Fallbeilwirkung" für verfassungswidrig und eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes für erforderlich, die eine nur verhältnismäßige Anrechnung vorsieht (Az.: 1 K 76/04).

Das heißt: Der steuerliche Kinderfreibetrag darf nur um den Betrag gekürzt werden, um den der maßgebliche Grenzbetrag überschritten wird. Und beim Kindergeld darf nur eine prozentuale Kürzung von 31,82 % vorgenommen werden. Denn das Kinder-geld in Höhe von 1.848 Euro im Jahr entspricht 31,82 % des Kinderfreibetrags i.H.v. 5.808 Euro.

Diese Entscheidung hat weitreichende Bedeutung, vor allem für Auszubildende.

Beispiel A:
Der volljährige Auszubildende bekommt in der bayerischen Metall- und Elektroindu-strie im 1. Ausbildungsjahr ab 01.06.2007 regelmäßig eine Vergütung in Höhe von 748,00 Euro monatlich, 12,5 mal im Jahr ausgezahlt .

Beispiel B:
Der Azubi bekommt in der bayerischen Metall- und Elektroindustrie im 3. Ausbil-dungsjahr ab 01.06.2007 regelmäßig eine Vergütung in Höhe von 842 Euro monat-lich, 13 mal im Jahr ausgezahlt.
Es ergibt sich folgende Rechnung:

Ausbildungsvergütung von
a)9.350 € b)10.946 €

abzgl. Werbungskosten/ Pauschalbetrag
(wenn nicht höhere tatsächliche Werbungskosten)
a) 920 € b) 920 €

Einkünfte
a) 8.430 € b) 10.026 €

Beträge zur gesetzlichen Sozialversicherung
a) 1.964 € b)2.300 €
(pauschal 21,01%)

maßgebende Einkünfte
a) 7.726 € b) 6.466 €

Grenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG)
a) 7.680 € b) 7.680 €

Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag
a)ja b) nein

Im Beispielsfall A) gibt es auch nach bisheriger Gesetzesauslegung das volle Kinder-geld bzw. den vollen Kinderfreibetrag.

Im Beispielsfall B) führt die Entscheidung des Finanzgerichts zu folgendem Ergebnis:

Der Kinderfreibetrag von 5.808 Euro wird lediglich um 46,00 Euro auf 5.762 Euro gekürzt, also um die Überschreitung des Grenzbetrags. Sofern sich bei der Günstig-errechnung zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag herausstellt, dass das Kin-dergeld vorteilhafter ist, wird dieses Kindergeld von 1.848 Euro jährlich um 31,82 % von 46,00 Euro, also 15,00 Euro, auf dann noch 1.833,00 Euro gekürzt.

Oberhalb des Grenzbetrages muss die Förderung somit anteilig erfolgen und darf erst bei folgendem Betrag auslaufen:

Grenzbetrag 7.680 €

Kinderfreibetrag 5.808 €

= Ende der Förderung 13.448 €

Das heißt: der Auszubildende darf rund 13.448 Euro verdienen, bevor der Kinder-geldanspruch endet.

Handlungsempfehlung
Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt, so dass nun der Bundesfinanzhof das Wort hat.

Wenn Kindergeld noch nicht beantragt wurde, sollte ein Antrag bei der zuständigen Familienkasse gestellt werden. (Musterschreiben, siehe Anlage 2)
Falls der Grenzbetrag (geringfügig) überschritten wurde und die Familienkasse des-wegen die Zahlung von Kindergeld ablehnt, sollte Einspruch gegen den ablehnenden Kindergeldbescheid eingelegt werden. (Musterschreiben, siehe Anlage 1)
Auch sollte bezüglich des Kinderfreibetrages Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt werden.

Die Finanzverwaltung bzw. die Familienkasse wird aber sicher zunächst eine höchst-richterliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs oder gar des Bundesverfassungsge-richts abwarten, ehe sie sich der Rechtsauffassung der niedersächsischen Richter anschließen. Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung sollten Einkommensteu-er- und Kindergeldbescheide durch Einlegen von Rechtsmitteln offen gehalten wer-den.

Anspruchsberechtigte Eltern von Auszubildenden, die nicht bei der IG-Metall Mitglied sind, sind darauf hinzuweisen, dass sie keinen Rechtschutz bei der IG-Metall be-kommen können, weil es sich dann um einen eigenen Anspruch eines Nichtmitglie-des handelt.

Entfernungspauschale:
Seit dem 1.1.2007 sind Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur noch ab dem 21. Entfernungskilometer wie Werbungskosten oder Betriebsausgaben zu be-rücksichtigen.
Das Niedersächsische Finanzgericht ( v. 27.2.2007, Az.:8 K 549/06, DStR 2007, S. 481 ) ist der Ansicht, dass die Kürzung der Entfernungspauschale verfassungswidrig ist und hat das Bundesverfassungsgericht angerufen ( Az. BVG: 2 BvL 1/07).

Wer als Auszubildender oder Student wegen seiner Fahrtkosten den Werbungsko-stenpauschbetrag von 920 Euro pro Jahr überschreitet, sollte prüfen, ob deswegen ein Kindergeldanspruch weiter besteht oder neu entsteht und die entsprechenden Schritte einleiten. (Einspruch gegen negative Kindergeldbescheide erheben bzw. An-trag auf Kindergeld stellen).

Letzte Änderung: 21.11.2007